Pfarrer Urs Keusch aus der Schweiz berichtete einmal von einem Gespräch mit einem alten, einsamen Mann. dem er jeden Monat am Herz-Jesu-Freitag die hl. Kommunion brachte. Ihm war das Bild einer Frau aufgefallen, das auf einem Kasten stand und manchmal mit ein Blümlein geschmückt war.
Einmal fragte der Pfarrer ihn: “Ist das Ihre Mutter?“ – “Nein“, sagte er, “von meiner Mutter habe ich kein Bild.“ Nach einer Weile erzählte er: “Das ist das Bild einer Frau, der ich während ein paar Jahren jeden Herbst das Holz gemacht habe, gesägt, gespalten und in den Schopf getragen. Das letzte Mal, bevor sie starb – ich sehe sie noch heute vor mir, als wär‘ es gestern gewesen – gab sie mir zum Abschied ein Stück Kuchen, schaute mir in die Augen und sagte zu mir: ,Sie sind ein guter Mensch!‘
Ich lief zu meinem Fahrrad, ich war wie benommen. ,Sie sind ein guter Mensch!‘, das hat sie mir gesagt, ,Sie sind ein guter Mensch!‘ Mein ganzes Leben lang bin ich mit meinem Fahrrad nie mehr so leicht den Berg hinaufgefahren wie damals. Es war mir, als bliese aller Wind der Welt in meinen Rücken. Immer hörte ich diese Worte: ,Sie sind ein guter Mensch!‘
Wissen Sie, so etwas hat mir sonst den ganzen Lebtag niemand gesagt, im Gegenteil. Immer hieß es zu Hause, als ich noch ein Kind war, aber auch später: ,Aus Dir wird nie etwas!‘ Und so war es dann auch, obwohl ich meinen Eltern das Gegenteil beweisen wollte. Es ist mir alles daneben gegangen, ich hatte nie Glück. Alles endete irgendwie in einer Katastrophe. Heute bin ich, wie Sie sehen, ein gebrochener Mann, ich lebe einsam und manchmal auch gottverlassen. Manchmal frage ich mich, wozu noch leben? Wenn mir manchmal die Erinnerungen an mein kaputtes Leben hochkommen, dann schaue ich mir das Bild dieser Frau an. Dann ist mir manchmal, als sage sie auch heute zu mir: ,Sie sind ein guter Mensch!‘ Dann spüre ich in mir wieder so eine Freude, und dann mag ich wieder leben.
Sie glauben es vielleicht nicht, aber es ist so: Diese Frau hat mich am Leben gehalten bis heute. Ich hätte mich schon mehr als einmal am liebsten umgebracht. Aber dieses Wort dieser Frau lässt es mich nicht tun. Und manchmal denke ich mir: Vielleicht bin ich doch nicht so schlecht. Vielleicht hat auch der Himmel ein wenig Erbarmen mit mir.“
Im Anfang vieler tragischer Lebensgeschichten steht oft ein böses, ein herzloses, ein unbeherrschtes, ein niederreißendes Wort: “Aus Dir wird nie etwas! Du taugst zu nichts!“ Und dieses Wort wird Fleisch. Es drängt zu seiner Verwirklichung. Als aber Christus getauft wurde, sprach sein Vater voll Liebe über Sein Kind: “Das ist mein vielgeliebter Sohn“ (Mt 3,17). Das ist das erlösende Wort der Liebe, das wir für unsere Kinder im Herzen haben sollten – aber auch für jeden Menschen.