Der bekannte evangelische Prediger und Schriftsteller Wilhelm Busch (1897 – 1966) berichtet in einem seiner Bücher über eine Erfahrung aus seiner Kindheit, wie er sich in einem Netz von Lügen verfangen hatte und wie er aber durch die Vergebung seines Vaters wieder frei wurde. Es ist ein anschauliches Gleichnis, wie Gott, der Herr, uns aus allen Verstrickungen in Lebenslügen und Unrecht durch das Licht der Wahrheit und Vergebung befreien will (gekürzte Fassung seines Zeugnisses):
Wilhelm war damals zwölf Jahre alt und ging ins Gymnasium, aber sehr ungern: “Ich glaube, ich war ganz einfach – faul. Jungen haben manchmal so Zeiten, in denen ihnen der ‘Ernst des Lebens’ höchst zuwider ist. Ich weiß gar nicht recht, wie es kam – auf einmal war ich in ein richtiges Lügennetz verstrickt.” Wilhelm hatte bei seinen Schularbeiten schlechte Noten. Aber er sagte zu Haus nichts davon, denn er hatte keine Lust, mehr zu arbeiten und Fehlendes nachzuholen.
Als sein Vater ihn nach der Schule fragte und auch seine Hefte sehen wollte, log er ihm etwas vor: “Da habe ich mich des Nachts hingesetzt und habe neue Hefte angefertigt. Dann musste ich mir Geld verschaffen, um rote Tinte zu kaufen, mit der ich die Unterschrift des Lehrers fälschte. Mein Vater bekam ein Heft mit den herrlichsten Zensuren zu sehen. Damals habe ich gelernt, dass aus jeder Lüge wenigstens zehn neue herauswachsen. Schließlich war mein ganzes Jungenleben nur noch ausgefüllt damit, zu vertuschen und zu schwindeln. Das Lügennetz wurde immer verworrener. Mich hatte eine Art Panik gepackt. Ich hätte es jetzt viel bequemer gehabt, wenn ich nur meine Schulaufgaben hätte machen müssen. Nun aber saß ich nachts und schrieb doppelte Hefte oder fälschte Entschuldigungen.”
So geriet Wilhelm in immer größere seelische Not. “Wenn meine Geschwister fröhlich spielten, dann packte mich der ganze Jammer eines verpfuschten Daseins. – Wie sollte ich je herauskommen?! Aber eines Tages brach die drohende Katastrophe herein.” Der Postbote brachte einen Brief. “Es waren nur zwei Zeilen, in denen der Lehrer meinen Vater um eine Aussprache bat. ‘Komm, setz dich’, sagte mein Vater, ‘und erzähl mir, was denn da los ist!’ Nun musste ich bekennen, und aus meinem Herzen brach es heraus: All dies ganze Geknäule von Schwindel und Betrug und Lüge und Faulheit und Schmutz. Ich war selber entsetzt, als ich es nun alles so ausgebreitet vor mir sah.
Dann richtete mein Vater sich auf und sagte aus tiefster Seele: ‘Du wirst ein Nagel an meinem Sarge werden! Nun geh!’ Und ich ging. Die Tränen flossen mir über das Gesicht, als ich die dunkle Treppe hinaufstieg zu meinem Zimmerchen.” … “Ich war maßlos verzweifelt – über mich selbst!”
Spät am Abend kam aber sein Vater ins Zimmer und fragte leise: “‘Schläfst du schon?’ Mir stieg ein unbändiges Schluchzen hoch. Sagen konnte ich nichts. Da kam er auf mein Bett zu … unendlich zart legte er mir die Hand auf den Kopf und sagte: ‘Nun bist du froh, dass alles im Licht ist, mein lieber Sohn!’ Ich spürte, wie er sich herabbeugte und mir einen Kuss gab. Dann ging er.” “Ich lag wie gelähmt. Und doch – am liebsten wäre ich herausgesprungen … ich hätte ihm um den Hals fallen mögen: ‘Mein lieber Vater!’ Aber ehe ich dazu die Kraft fand, hörte ich seine Tür gehen.”
“Am nächsten Tag ging mein Vater zum Lehrer. Ich weiß nicht, was sie miteinander gesprochen haben. Mit gewaltigem Eifer setzte ich mich auf die Hosen und brachte zu Ostern ein gutes Zeugnis nach Hause. Niemals aber hat mein Vater wieder diese Geschichte erwähnt. Sie war ganz und gar abgetan.”