Warum ich mich über das Christentum geirrt habe

Tom Holland ist ein nicht nur in Großbritannien beachteten Historiker und Romanautor. Er hat am 14. 9. 2016 in der linksgerichtete britische Wochenzeitung New Statesman, in der er bis dahin regelmäßig Aufsätze zu geschichtlichen Themen schrieb, einen letzten Aufsatz veröffentlicht mit dem Titel: „Warum ich mich über das Christentum geirrt habe“. Er legt darin seinen Sinneswandel in Sachen Christentum und seine Abrechnung mit der Aufklärung dar. „Ich habe viel Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass meine Einstellungen und Sitten nicht griechisch oder römisch, sondern im Grund und mit Stolz christlich sind“, schreibt er in der Einleitung.

Tom Holland hatte zwar eine christliche Erziehung erfahren, aber sie wurde ihm zum Spielball seiner Begeisterung: zuerst für die Zeit der Dinosaurier, dann für die alten Griechen und Römer. Als er verschiedene Autoren der Aufklärung las, übernahm er auch ihre Geschichtsdeutung, dass die Ausbreitung des Christentums die Menschen in eine „Epoche des Aberglaubens und der Leichtgläubigkeit“ führte und er ließ sich von der Sichtweise Voltaires leiten, der sagte: „Jeder vernünftige Mensch, jeder anständige Mensch muss die christliche Sekte verabscheuen“. Den biblischen Gott sah er „als direkten Feind der Freiheit und des Amüsements“; die Moderne hingegen gründe sich auf die Wiederherstellung der lange vergessenen klassischen Ideale. Aber er entdeckte: „Je mehr ich mich in das Studium der klassischen Antike vertiefte, desto fremder und besorgniserregender wurde sie mir.“ In den Wertvorstellungen der Antike hatten die Armen und Schwachen keinen Platz und die Aufklärung hatte viel mehr an Werten vom Christentum übernommen, als sie zugab.

„‚Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit‘, sagte der heilige Paulus. Recht hatte er. Nichts hätte in einem größeren Gegensatz zu den tiefsten Überzeugungen seiner Zeitgenossen – Juden, Griechen oder Römer – stehen können als die Vorstellung, dass ein Gott aus freiem Willen breit war, Folter  und den Tod am Kreuz zu erleiden. Eine solche Vorstellung war so schockierend, dass sie geradezu abstoßend schien. Die Vertrautheit mit der biblischen Kreuzigung hat unsere Fähigkeit verdunkelt, darüber nachzudenken, welche Sprengkraft und Einzigartigkeit in der Gottheit Christi liegt. In der antiken Welt beanspruchten die Götter, das Universum zu regieren, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Strafen zuzufügen, nicht aber Strafen zu erleiden.

Heute, da der Glaube an Gott im gesamten Westen schwindet, bewahren die Länder, die einst christlich waren den Stempel, der ihnen durch die zweitausend Jahre der Revolution, die das Christentum bedeutet, eingeprägt wurde. Das ist der Hauptgrund, weshalb im Prinzip der Großteil von uns Angehörigen der nachchristlichen Gesellschaft es noch immer für selbstverständlich erachtet, dass es edler ist zu leiden, als Leiden zuzufügen. Dank dem Christentum gilt noch immer weitgehend, dass jedes Menschenleben den gleichen Wert und die gleiche Würde hat. Mit Blick auf meine Ethik und meine Moral habe ich gelernt, dass ich weder griechisch noch römisch geprägt bin, sondern durch und durch christlich und, dass ich stolz darauf bin.“

Quelle: gekürzt https://katholisches.info