Vom russischen Schriftsteller Leo Tolstoi stammt die Geschichte von zwei einfachen, alten Bauern, die von Russland aus zu einer Pilgerreise nach Jerusalem aufbrechen. Sie wandern von Dorf zu Dorf in Richtung Schwarzes Meer, wo sie sich ins Heilige Land einschiffen wollen. Auf ihrem Weg hält der eine an einer Hütte, um seinen Wasserschlauch aufzufüllen. Der andere geht noch etwas weiter, findet ein schattiges Plätzchen und schläft bei dieser Rast ein. Als er wieder erwacht, weiß er nicht, wo sein Freund ist. Er muss mich überholt haben und schon am Hafen sein, ist sein Gedanke. Aber weder im Hafen noch auf dem Schiff findet er seinen Freund wieder. Umso mehr freut er sich, als er ihn in Jerusalem von weitem sieht. Aber noch bevor er sich seinen Weg durch die Menge der anderen Pilger bahnen kann, ist der Freund wieder verschwunden. Noch zweimal sieht er ihn vor sich, jedes Mal viel näher an den heiligen Stätten stehend als er selbst. Aber er holt ihn nicht ein und schließlich muss er sich auch wieder allein auf die Heimreise machen.
Als er heimkehrt in sein Dorf, findet er dort seinen Pilgerfreund wieder. Wie groß ist die Überraschung, als er hört, dass dieser überhaupt nicht in Jerusalem gewesen war! In jener kleinen Hütte, wo er seinen Wasserschlauch auffüllen wollte, hatte der Pilger eine hungernde, in Schulden geratene und todkranke Familie angetroffen, die sogar zu schwach war, um sich selbst Wasser zu holen. Der Pilger hatte Mitleid mit ihnen, machte sich auf und brachte ihnen Wasser, kaufte Essen ein und pflegte sie alle gesund. Jeden Tag dachte er: „Morgen werde ich meine Pilgerfahrt fortsetzen.“ Als er ihnen aber geholfen hatte, da reichte sein Geld gerade noch, um nach Hause zu fahren. Als sein Freund das hörte, dachte er daran, dass er ihn dreimal vor sich in Jerusalem gesehen hatte, stets näher an den heiligen Stätten als er selbst. Und er fragte sich im Herzen, wer von ihnen beiden das wahre Ziel der Pilgerfahrt erreicht habe.