Das Gottesgericht im Menschenherzen

In seiner Schrift “Mein Himmelreich” erzählt Peter Rosegger:

Ich kannte einen Mann, der sein Weib, mit dem er in unglücklicher Ehe gelebt, vergiftet hatte. Er lebte nach der Tat noch jahrelang auf seinem Hof in Wohlstand und Ansehen dahin, niemand vermutete in ihm einen Mörder. Er war zumeist trotzig, mürrisch, herrisch und in sich gekehrt, man schrieb es seinem natürlichen Stolz zu und achtete ihn um so mehr; manchmal auch stürzte er sich in die Gesellschaft und war ausgelassen lustig; man rechnete ihm diese menschenfreundliche Heiterkeit doppelt hoch an. Aber lachen konnte er nicht, sein Lachen war ein überlautes Schreien. Er war wohltätig; man verehrte ihn und konnte nicht satt werden, ihn zu loben.

Plötzlich brachte ein Zufall sein Verbrechen an den Tag. Als das Gericht ihm die aufgefundenen Beweise vorhielt, leugnete er nicht einen Augenblick, gestand alles ohne Umschweife und Beschönigung. Zu zwanzig Jahren Kerker wurde er verurteilt.

Ich besuchte ihn etliche Wochen nach seiner Verurteilung im Gefängnis. Wie fand ich ihn doch so ganz anders, als ich gefürchtet hatte! Er beschäftigte sich mit Korbflechten, hatte ein gesundes Aussehen, einen frischen Blick, ein heiteres Gemüt, als wäre er der zufriedenste Handwerksmann auf der Welt. Als ich mich von ihm verabschieden wollte, fiel er mir um den Hals und sagte: “Peter, du glaubst gar nicht, wie glücklich ich jetzt bin! Es war eine böse Zeit, den Verdammten kann’s nicht ärger sein. Das schreckliche Geheimnis auf dem Herzen und immer machen, dass es nicht auskommt, und immer Angst Tag und Nacht, und immer die Gewissenspein – wie ein Verdammter, ich kann dir’s nicht anders sagen. Jetzt leide ich meine gerechte Strafe und brauch’ mich nicht mehr zu fürchten, bin auf gleich mit mir und meinem Gott, kann ruhig leben und arbeiten, ruhig schlafen, ruhig sterben – bin wie erlöst.”