Das Christkind aus Brot

Der ungarische Priester István Regőczi (1915-2013), der während der kommunistischen Zeit wegen seiner Treue zum katholischen Glauben öfter ins Gefängnis kam, berichtet in einem seiner Bücher über ein besonderes Weihnachtserlebnis, das er im Internierungslager in Kistarcsa hatte.

„Ich blickte meinem vierten Weihnachten im Gefängnis mit Trauer entgegen. Jetzt war ich mit Laien zusammen, und es war unmöglich für mich, die Eucharistie zu feiern.“ In dieser trostlosen Situation kam ihm die Idee, dass er und seine Mitgefangenen wenigstens eine Krippe mit dem Jesuskind haben sollten.

Ein Mithäftling, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte, war Bildhauer. Pater István bat ihn, ein Jesuskind aus Brot zu formen. Aber dazu brauchte er ein Kilo Brot. So beschloss er, sich das wenige Brot, das sie jeden Tag bekamen, vom Mund zu sparen. Und aus diesem Brot formte der Bildhauer ein schönes Jesuskind. „Ich war so voller Freude, dass ich vergaß, wie viel Verzicht mir diese Figur gekostet hatte. Bald brach die dunkle und düstere Nacht herein, ohne Licht und ohne Feuer, ohne festliches Essen. Die Leute dachten an ihre Familien und waren noch trauriger als sonst. Dann legte ich das Jesuskind in einer Ecke auf einen Haufen Stroh. Es war mir gelungen, ein Stückchen Kerze versteckt zu halten, und das zündete ich jetzt an. Das ungewöhnliche Licht breitete sich im Raum aus und fiel auf das kleine einfache Kripplein. Eine Aufregung ging durch den ganzen Saal. Einer nach dem anderen kam daher, um nachzusehen. Diese armen, harten, hoffnungslosen Häftlinge mit gebrochenen Herzen… Manchen von ihnen funkelte jetzt eine Träne in den Augen, denn im Gefängnis feierte man ja keine Weihnachten außer in den Erinnerungen. Der härteste Kerl im Saal, ein breitschultriger Boxer, der noch nie ein Wort zu mir gesprochen hat, nahm meine Hand in seine Tatzen. So laut, dass jeder es hören konnte, sagte er: – Hochwürden, wir danken Ihnen, dass Sie das Christkind zu uns gebracht haben!“ Sie begannen auch gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. Es war ein unvergesslicher Weihnachtsabend.

Aber am Ende ihrer Feier hörten sie die Wächter kommen. Schnell versteckte Pater Istvan das Jesuskind unter seinem Hemd. „Wir sahen wie die Wächter unter Beschimpfungen einen Unglücklichen in den Saal stießen. Wir schauten ihn neugierig an, wie er in seinen zerrissenen Lumpen blass und mager da stand. Er war vielleicht 18 Jahre alt, hatte glänzende Augen und blonde lange Haare.“ Auf alle Fragen, die sie dem Neuankömmling stellten, sage er immer nur kaum hörbar: „Ich habe Hunger!“ „Brot, mein Freund? – Vielleicht bekommen wir es morgen.“ „Morgen… bis morgen bin ich tot“ stöhnte er verbittert.
„Furchtbar schämten wir uns unserer Ohnmacht. Plötzlich war es, als bewegte sich etwas auf meiner Brust. Das Christkind aus Brot! Eine Sekunde zögerte ich, dann zog ich es schnell unter meinem Hemd hervor und streckte es dem Jungen entgegen: Schau, das ist Brot, du kannst es essen. Ich gestehe, dass ich einen Hauch von Traurigkeit verspürte, als ich sah – besser gesagt hörte – wie der junge Mann mit seinen Zähnen das Brot‑Christkind zermalmte.

Dieses essbare Christkind, das unsere Weihnacht mit unvergesslichem Licht erfüllt hatte, war bald ganz verzehrt bis zum letzten Krümel. In Stille zerstreuten wir uns wieder im Saal, jeder zu seinem Lager. Die anderen zeigten mir mit einem Händedruck, dass sie über das Geschehene froh waren. Ich ging auch zu meinem Strohsack… Als ich nochmals zum Neuankömmling hinüberschaute, der sich den Mund abwischte, kam es mir wie eine Erleuchtung: Siehe da, das ist das Mysterium der Weihnacht, das göttliche Kind kam zu uns, dass wir Ihn essen können wie das Brot‑Christkind. Er kommt zu uns in der schneeweißen Hostie, wie in weiße Windeln gewickelt, dass Er sich uns geben kann, dass wir mit Ihm eins werden können. … Erst jetzt hatte ich das Wesen des Weihnachtsgeheimnisses verstanden.“