Jesus hat uns in der Bergpredigt zur Heiligkeit aufgerufen: „Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). Wir haben vielleicht den Eindruck, dass er etwas Unmögliches von uns verlangt. Aber dieser Eindruck kommt davon, dass wir die christliche Vollkommenheit mit einem menschlich gedachten „Perfektionismus“ verwechseln. Diese Vollkommenheit besteht nicht darin, dass wir keine Fehler machen und keine Schwächen mehr haben, sie zeigt sich vielmehr darin, dass wir danach trachten, Christus nachzufolgen und so wie er zu denken, zu lieben, zu fühlen und zu handeln. Aus eigener Kraft vermögen wir nichts Gutes zu tun. Aber mit dem hl. Paulus können wir sagen: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4, 13). Diese Erkenntnis bewahrt uns in der Demut und macht uns nachsichtig mit den Fehlern anderer.
In der Haltung des Perfektionismus aber, schaut der Mensch nur auf sich selbst und ist mit sich selbst beschäftigt. Er kann es nicht annehmen
oder er will es nicht sehen, dass er selber Fehler und Schwächen hat. Zugleich stellt er auch zu große Erwartungen an seine Mitmenschen. Und wenn etwas nicht gelingt, wird er mutlos oder schiebt die Schuld auf andere. Der Perfektionismus ist letztlich eine Form des Stolzes, mit dem man sich selbst und den anderen das Leben schwer macht und sein eigenes Glück verbaut. Eine kleine, heitere Geschichte soll uns zeigen, wie es den Perfektionisten ergeht:
Ein Schüler fragte Nasrudin eines Tages, warum er nie geheiratet habe. „Ach,“ antwortete Nasrudin „ich hatte mir vorgenommen, nur dann zu heiraten, wenn ich die perfekte Frau gefunden habe. So suchte ich lange Jahre und begegnete vielen Frauen, die nett und schön und intelligent waren. Aber keine war perfekt.“ Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Eines Tages sah ich sie. Ich wusste sofort, dass sie in jeder Hinsicht perfekt war. Und als ich sie dann kennen lernte, stellte sich heraus, dass sie tatsächlich in jeder Hinsicht ein makelloses Juwel war.“ „Und, warum hast du sie dann nicht geheiratet?“ fragte der Schüler. Nasrudin seufzte tief: „Das Problem war, dass sie den perfekten Mann suchte.“